Angst-Diagnostik

Wir möchten im Folgenden Informationen zur Verfügung stellen, anhand derer man sich ein besseres Bild von Angsterkrankungen machen kann. So widmen wir uns der Frage, wo die Grenze zwischen normaler und kranker Angst liegt und es werden die spezifischen Angsterkrankungen näher beschrieben. Schließlich gibt es die Möglichkeit, einen kurzen Selbsttest durchzuführen, der abschätzen hilft, ob man selbst an einer behandlungsbedürftigen Angsterkrankung leidet.

Wenn Angst zur Krankheit wird

Wie weiter oben bereits beschrieben, ist Angst zunächst ein normales Gefühl, das zu unserem Leben dazu gehört und uns beim (Über-)Leben hilft. Aber wann ist die Grenze von normaler Angst zur Angsterkrankung überschritten? Da dies ein fließender Übergang ist, läßt sich diese Frage nicht in einem kurzen Satz beantworten, die Antwort ist etwas komplexer. Vom Vorliegen einer Angsterkrankung kann man ausgehen, wenn:

  • die Angst unangemessen oder irrational erscheint, bezogen auf das reale Risiko
  • die Angst wiederholt oder regelmäßig auftritt
  • Situationen oder Dinge aus Angst vermieden werden
  • die Angst Leiden und Beeinträchtigung verursacht

Bei Vorliegen der ersten drei Punkte ist eine Behandlung noch nicht zwingend erforderlich. Sie ist es dann, wenn die Angst für den Betroffenen spürbare Beeinträchtigungen oder Leiden verursacht.

Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die zwar die diagnostischen Kriterien für eine Angsterkrankung erfüllen, jedoch ganz gut mit dieser Störung leben können. So ließe sich vermutlich bei etlichen Menschen eine mehr oder weniger ausgeprägte Höhenangst diagnostizieren, das heißt, sie sind nicht schwindelfrei. Allerdings begeben sich nicht alle Betroffenen wegen eines solchen Problems in psychotherapeutische Behandlung. Dies hängt damit zusammen, daß sich die meisten Menschen, von Zimmerleuten, Bauarbeitern und Fensterputzern einmal abgesehen, im normalen Alltagsleben kaum in schwindelerregenden Höhen bewegen müssen und die Angst deshalb nicht zum vordergründigen Problem wird. Dies unterstreicht, welche zentrale Rolle das subjektive Ausmaß des Leidens, der sogenannte Leidensdruck, spielt. Erfahrungsgemäß suchen die Betroffenen erst dann psychotherapeutische Behandlung auf, wenn der Leidensdruck bereits groß geworden ist.

Die verschiedenen Angsterkrankungen

Die speziellen Formen von Angsterkrankungen sind im folgenden dargestellt. Bei der Klassifizierung wurden die Diagnosekriterien des ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation, WHO) und des DSM-IV (American Psychiatric Association, APA) zugrundegelegt.

Paniksyndrom

Hauptmerkmal sind häufige Angst- bzw. Panikanfälle oder die dauerhafte Sorge vor solchen Anfällen. Angstanfälle sind plötzlich auftretende Zustände von intensiver Furcht oder Unbehagen mit einer Vielzahl körperlicher und psychischer Symptome und dem Gefühl drohender Gefahr. Sie können nur wenige Minuten oder auch eine halbe Stunde andauern. Typisches Merkmal ist "Angst vor der Angst" bzw. vor den befürchteten katastrophalen Konsequenzen der Angstsymptome (die häufig nicht als solche, sondern als Zeichen einer unmittelbar drohenden körperlichen oder psychischen Katastrophe gedeutet werden). Viele Angstanfälle treten "spontan" bzw. unerwartet auf, d.h. sie entstehen ohne für den Patienten erkennbare Ursache und sind nicht regelmäßig an bestimmte Situationen gebunden. In der Folge kommt es häufig zu Vermeidungsverhalten: die Betroffenen schränken ihren Lebensstil ein, sie gehen nicht mehr an Orte, wo sie Angstanfälle befürchten oder wo die Konsequenzen im Falle eines Angstanfalles besonders unangenehm wären. Wenn zumindest ein Teil der Anfälle situativ ausgelöst wird und ausgeprägtes Vermeidungsverhalten besteht, liegt ein Paniksyndrom mit Agoraphobie vor (siehe unten). Wenn die Angstanfälle nur bei Konfrontation mit einem bestimmten Reiz, z.B. Hunden, ausgelöst werden, liegt eine spezifische Phobie, z.B. Hundephobie, vor.

Agoraphobie

In der Regel werden Situationen gefürchtet und vermieden, in denen es besonders unangenehm oder gefährlich sein könnte, einen Angstanfall zu haben (z.B. Autofahren, Kaufhäuser, Supermärkte, Fahrstühle, Menschenmengen, allein das Haus verlassen, Schlange stehen, Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Flugzeuge, Kinos, Theater). Manchmal können die Angstanfälle im Laufe der Zeit verschwinden. Mitunter werden die gefürchteten Situationen unter extremer Angst durchgestanden. Bei der Agoraphobie ohne Paniksyndrom werden dieselben Situationen aus anderen Gründen vermieden (z.B. Angst vor plötzlichem Durchfall). Agoraphobiker vermeiden in der Regel mehrere Situationen und befürchten v.a. Angstanfälle bzw. deren katastrophale Folgen, spezifische Phobiker dagegen in der Regel unmittelbar vom phobischen Objekt ausgehende Gefahren (z.B. Flugzeugabsturz) und Sozialphobiker eine Blamage bzw. negative Bewertung durch andere. Die Diagnose lautet Paniksyndrom mit Agoraphobie, falls neben der Agoraphobie irgendwann (nicht notwendigerweise gegenwärtig) die Kriterien für ein Paniksyndrom erfüllt waren bzw. Agoraphobie ohne Paniksyndrom, falls nie die Kriterien für ein Paniksyndrom erfüllt waren.

Sozialphobie

Dauerhafte, unangemessene Furcht und Vermeidung von Situationen, in denen die Patienten mit anderen Menschen zu tun haben und dadurch einer möglichen Bewertung im weitesten Sinne ausgesetzt sind. Sie befürchten, zu versagen, sich lächerlich zu machen oder durch ungeschicktes Verhalten gedemütigt zu werden. Sozialphobien können sowohl eng umschrieben sein (z.B. Furcht vor öffentlichem Sprechen) als auch einen Großteil aller zwischenmenschlichen Aktivitäten einschließen (z.B. Parties, Gespräche, Essen, Schreiben vor anderen). Typischerweise löst die Konfrontation mit einer sozialen Situation fast immer sofort Angst aus und die Patienten zeigen ausgeprägte Erwartungsängste. Während die zentralen Befürchtungen von Sozialphobikern Blamage bzw. negative Bewertung durch andere betreffen, fürchten Agoraphobikern v.a. Angstanfälle bzw. deren katastrophale Folgen und spezifische Phobikern in der Regel unmittelbar vom phobischen Objekt ausgehende Gefahren.

Spezifische (einfache) Phobie

Dauerhafte, unangemessene und intensive Furcht und Vermeidung spezifischer Objekte oder Situationen. Ausgenommen sind Furcht vor plötzlichen Angstanfällen (Paniksyndrom) und vor sozialen Situationen (Sozialphobie). Die häufigsten Phobien betreffen Tiere (z.B. Spinne, Schlangen, Hunde, Ratten), Höhen, enge Räume (sogen. Klaustrophobie), Flugzeuge und den Anblick von Blut, Verletzungen oder Spritzen. Bei Phobikern sind diese weit verbreiteten Ängste so stark, daß sie die normale Lebensführung beeinträchtigen und ausgeprägtes Leiden verursachen. Konfrontation mit den phobischen Reizen löst fast immer sofort Angst aus. Manchmal keine vollständige Vermeidung, sondern Ertragen unter extremer Angst möglich. Die zentralen Befürchtungen betreffen typischerweise direkt vom phobischen Objekt ausgehende Gefahren (z.B. Flugzeugabsturz, Hundebiß). Im Gegensatz dazu befürchten Agoraphobiker v.a. Angstanfälle und ihre Konsequenzen, Sozialphobiker die negative Bewertung durch andere.

Generalisiertes Angstsyndrom

Dauerhafte, unrealistische oder exzessive Furcht oder Sorgen, die mindestens ein halbes Jahr andauern. Die Befürchtungen drehen sich in der Regel um mehrere Lebensbereiche (z.B. Arbeit, Finanzen oder Ehe). Manche Betroffene sorgen sich auch nur um einen konkreten Lebensbereich, sind dann allerdings generell grüblerisch und neigen zu häufigen Sorgen auch über alltägliche Dinge. Typische Symptome sind ständig erhöhte Erregung, Nervosität, Anspannung, erhöhte Wachsamkeit oder vegetative Beschwerden. Zur Abgrenzung ist wichtig, daß die Sorgen nicht im Zusammenhang mit anderen Störungen (v.a. Panik, Sozialphobien, Zwänge) stehen. Darüber hinaus ähnelt dieses Störungsbild oft einer Depression, so daß eine besonders gründliche diagnostische Abklärung notwendig ist, um eine zuverlässige Diagnose stellen zu können.

Testen Sie sich selbst!

Mit der Beantwortung der folgenden Fragen und der resultierenden Rückmeldung können Sie abschätzen, ob bei Ihnen Grund zu der Annahme besteht, daß eine Angststörung vorliegt. Dabei kann das Ergebnis selbstverständlich nur Anhaltspunkte liefern und ersetzt keine diagnostische Untersuchung. Es empfiehlt sich in jedem Fall, einen Psychotherapeuten oder Psychiater aufzusuchen, um die Symptomatik abklären zu lassen.

Die vorliegenden diagnostischen Leitfragen orientieren sich an den Diagnosekriterien ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO).